Neuropsychologischer Ratgeber
Online-Ratgeber mit vielen Informationen über erworbene Hirnverletzungen und Erklärungen der von Ärzt:innen verwendeten Fachbegriffe
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Wenn das Gehirn verletzt ist
Als Eltern eines Kindes oder Jugendlichen mit einer Hirnverletzung oder einer anderen Behinderung muss man sich notgedrungen mit medizinischem Fachjargon auseinandersetzen. Eine kleine Wegleitung zum besseren Verständnis.
Von angeborenen Hirnverletzungen spricht man, wenn die Schädigung bereits bei der Gehirnentwicklung entsteht. Dies ist einerseits bei Fehlbildungen während der Schwangerschaft der Fall oder sekundär, wenn das Gehirn nach einer zuerst normalen Entwicklung vor (prä-), während (peri-) oder kurz nach der Geburt (postnatal) durch Infarkte, Blutungen oder Sauerstoffmangel geschädigt wird. Von erworbenen Hirnverletzungen spricht man, wenn im Kindesalter ein bis dahin normal entwickeltes Gehirn als Folge von Unfällen oder Krankheiten geschädigt wird.
Hier finden Sie Informationen zu angeborenen, erworbenen und degenerativen Hirnverletzungen.
Krankheitsbeschreibungen
Das Kindernetzwerk e.V. hat rund 200 seltene Syndrome wie Aicardi-Syndrom, Kleinhirnatrophie oder Mikrozephalie kurz und übersichtlich beschrieben.
Cerebralparese
Cerebralparesen umfassen eine Gruppe unterschiedlicher Störungen der Körperhaltung und Fortbewegung mit Muskelsteife (Spastik), die bleibend, aber nicht unveränderlich sind.
Epilepsie
Eine Fehlfunktion des Gehirns kann zu Epilepsien führen, wenn Nervenzellen plötzlich gleichzeitig Impulse abfeuern. So kommt es zu epileptischen Anfällen.
Angeborene Fehlbildungen
Diese haben vielfältige Ursachen: Chromosomenanomalien (wie Mono- und Trisomien) und sonstige Gendefekte, chemische Substanzen (wie Alkohol, Medikamente), Infektionen (wie Röteln, Herpes), Sauerstoffmangel oder metabolische Störungen (wie Vitaminmangel oder Stoffwechselerkrankungen der Mutter). Um welchen Schadfaktor es sich handelt, ist weniger wichtig als wann und wie lange er auf das Gehirn einwirkt. Die Einteilung dieser Fehlbildungen folgt dem normalen Entwicklungsverlauf des ZNS.
In den ersten Schwangerschaftswochen kann die Neurulation gestört sein. Die schwerste Form eines Neuralrohrdefekts ist die Anenzephalie, bei der sich die Schädeldecke nicht schliesst und Teile des Gehirns fehlen. Es gibt auch umschriebene Verschlussstörungen des Schädels und sogenannte Enzephalozelen – aussen von Haut überdeckte Bruchsäcke, die Hirnhäute, Liquor oder zusätzlich Teile des Gehirns enthalten. Neurulationsstörungen werden am vorderen Ende des Neuralrohres seltener beobachtet als im Bereich der Wirbelsäule und des Rückenmarks. Hier führen sie zu den unterschiedlichen Formen einer Spina bifida. Ist die frühe Entwicklung des Endhirns und der Kommissuren gestört, kommt es zu verschiedenen Formen der Holoprosenzephalie oder zu einem Balkenmangel (Corpus-callosum-Agenesie), zum Beispiel dem Aicardi-Syndrom.
Ist die Bildung, Wanderung und Differenzierung der Nerven- und Gliazellen gestört, vermindert sich die Gehirnsubstanz oder verläuft die Rinden- und Windungsbildung fehlerhaft, beispielsweise bei der Mikrozephalie. Bei der Lissenzenphalie fehlen die Windungen teilweise oder ganz, bei den Polymikrogyrien liegen abnormen Windungen vor, bei der Schizenzephalie besteht hingegen eine mehr oder weniger breite liquorgefüllte Lücke im Gehirn. Heterotopien sind Ansammlungen normaler Neurone am falschen Ort, die häufig mit Epilepsien verbunden sind, wie auch die fokalen kortikalen Dysplasien, bei denen die Differenzierung der Hirnrinde gestört ist. Neurokutane Erkrankungen führen gleichzeitig zu Veränderungen an den Augen, an der Haut und an weiteren Organsystemen. Zu ihnen zählen die Neurofibromatosen, die tuberöse Hirnsklerose und das Sturge-Weber-Syndrom. Als Arachnoidalzysten bezeichnet man tumorartige Fehlbildungen in der mittleren Hirnhaut (Spinngewebehaut). Missbildungen in der hinteren Schädelgrube führen zu Störungen im Kleinhirn oder Hirnstamm, zum Beispiel den vier Typen der Chiari-Malformation. Im Bereich des Hirnstamms können Hirnnervenkerngebiete missgebildet sein. Ein Hydrozephalus entsteht, wenn die Ventrikel aus unterschiedlichen Gründen erweitert sind.
Frühkindliche Hirnschädigungen vor, während oder kurz nach der Geburt führen oft zu einer Cerebralparese (CP). CP ist keine Krankheit, sondern eine Form körperlicher Behinderung. Diese kann wenig ausgeprägt sein, zum Beispiel nur eine leichten Auffälligkeit beim Gehen oder im Handgebrauch, aber auch sehr schwer mit motorischen Störungen, Beeinträchtigungen der Kommunikation, der geistigen Entwicklung, des Schluckens und damit der Ernährung. Häufig kommt auch eine Epilepsie dazu.
Neurodegenerative Erkrankungen
Diese sind meist langsam fortschreitende, erbliche oder spontan auftretende Erkrankungen des Nervensystems. Unter Degeneration versteht man eine Funktionseinschränkung, ein Abbau oder Funktionsverlust von Nervenzellen, der zu verschiedenen neurologischen Symptomen führt. Bei Kindern kommen beispielsweise der Morbus Pick, die Friedreich-Ataxie, die spinale Muskelatrophie und die infantile neuroaxonale Dystrophie (Seitelberger-Krankheit) vor.
Postkommotionelles Syndrom
In seltenen Fällen halten Beschwerden nach einer Gehirnerschütterung einige Wochen an, zum Beispiel Apathie, diffuser Kopfschmerz, Schwindel, Übelkeit, rascher Ermüdbarkeit und Reizbarkeit sowie vermehrtes Schwitzen.
Erworbene Hirnverletzungen
Zu diesen gehört das Schädel-Hirn-Trauma, beim dem eine Kraft auf das Gehirn einwirkt und es direkt und/oder indirekt durch die nachfolgende Einblutung und Schwellung schädigt. Auslöser sind Verkehrs- und Sportunfälle, Stürze, bei Babys auch Schütteltraumen und anderes.
Bei einem Hirninfarkt (Schlaganfall, ischämischer Infarkt) verschliessen Blutgerinnsel im Gehirn ein Gefäss. Das betroffene Hirngebiet wird zu wenig durchblutet und versorgt, es stirbt ab. Reisst oder platzt ein Blutgefäss oder eine mit Blut gefüllte Gefässausstülpung (Aneurysma) im Gehirn, kommt es zu einer Hirnblutung. Das austretende Blut schädigt das umliegende Gebiet, die Blutzufuhr und die Versorgung sind ebenfalls eingeschränkt.
Bei einem Hirntumor werden Hirngebiete durch raumfordernde Prozesse oder durch nachfolgende Operationen zerstört. Hirninfektionen wie Hirnhautentzündung (Meningitis) und Gehirnentzündung (Enzephalitis) können durch allgemeine Entzündungen (Nasen- oder Ohrenentzündungen, Zahneiterungen, Kinderkrankheiten wie Masern, Zeckenbisse usw.) entstehen und einzelne Hirngebiete oder diffus das ganze Gehirn schädigen.
Setzen die Atmung und damit die Sauerstoffzufuhr für längere Zeit aus (bei Herz-Kreislauf-Stillstand, Ertrinken, Würgen, Kehlkopfschwellung usw.) entstehen durch den Sauerstoffmangel (Hypoxie) in der Regel diffuse Schäden im Gehirn. Auch Vergiftungen (Intoxikationen) durch Gase, Chemikalien, Drogen oder Medikamentenmissbrauch können schwere, meist diffus verteilte Schäden am Gehirn zur Folge haben.
Quelle: Lexikon der Neurowissenschaften
Schädel-Hirn-Trauma
Ein SHT ist eine (offene oder gedeckte) Verletzung des Schädels mit Beteiligung des Gehirns durch eine äussere Krafteinwirkung, ausgelöst durch einen Schlag, Sturz oder Aufprall. Dies kann zu einem Schädelbruch, einer Hirnschwellung oder zu Blutungen im Gehirn führen. Diese können direkt oder bis zu 48 Stunden nach der Verletzung auftreten. Je nach Schwere der Verletzung kommt es zu einer mehr oder weniger starken Schädigung des Gehirngewebes. Der Schweregrad wird nach der Glasgow-Coma-Skala (GCS) eingeteilt.
Schlaganfall und Hirnblutung
Schlaganfälle und Hirnblutungen können schon vor der Geburt oder im Kindes- und Jugendalter vorkommen. Die Folgen treten bei Kindern manchmal erst Monate oder Jahre später in Erscheinung, was die Diagnose erschwert. Bei Kindern deuten unerwartet auftretende Störungen des Bewegungsablaufes, zum Beispiel wird beim Gehen ein Bein nachgezogen, oder unerklärliche Sprachstörungen auf einen Schlaganfall hin. Im Unterschied zu Erwachsenen ist bei Kindern die Hirnreifung noch nicht abgeschlossen. Deshalb treten die durch einen Schlaganfall verursachte Schäden am Gehirn manchmal erst Monate oder Jahre später in Erscheinung, was die Diagnose erschwert.
Hirntumore
Tumore im Gehirn und des ZNS sind nach Leukämien die häufigsten Krebsarten im Kindesalter und machen ungefähr einen Viertel aller Krebsdiagnosen aus. Häufig zeigen sich Symptome wie Kopfschmerzen, Übelkeit und Brechreiz, Gleichgewichtsstörungen und Schwindel, Störungen der Augenbewegung sowie Müdigkeit und vermehrtes Schlafbedürfnis.